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„Dekameron 21.0 – Zehn Schlaglichter auf eine Krise“*

„Das Leben ist zu schön, um es mit Risiken zu versauen.

* Ungekürzter Text

Die Aufgabe eines Wissenschaftlers ist es, sich ein Bild von der Wirklichkeit zu machen, um es dann der internationalen Wissenschaft zur Kritik zu stellen. Durch den Vorgang von Kritik und Selbstkorrektur entsteht Fortschritt. Warum wird diese simple, seit 1934 im Bereich der Wissenschaftstheorie weltweit akzeptierte Tatsache in der Bildung immer noch wie ein Staatsgeheimnis gehütet? [1] Wäre sie Allgemeingut, könnte vieles einfacher sein und die Verschwörungserzähler hätten es unendlich schwerer.

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In China kam sie ans Licht der Welt. [2] Ihre Wirte wurden mit viel Aufwand eingesperrt, doch sie kümmerte sich wenig darum und ging auf Wanderschaft um die Erde – die Corona-Pandemie.[3],[4] Für diesen Text ist es nicht wichtig, ob es um die aktuelle Corona-Pandemie, SARS oder eine andere pandemische Epidemie geht. Ja, es ist sogar unerheblich, ob es sich um nur pandemoide Ereignisse wie Elektrosmog, Amalgam oder Gentechnik handelt. Hier geht es um das Wechselspiel zwischen Medizinern, Politikern und der Öffentlichkeit in solchen und ähnlichen Situationen.

Aus meiner Perspektive als Biologe, der in seinem Berufsleben in der Forschung an und in pandemoiden Situationen, als institutioneller Forschungsförderer, als internationaler Wissenschaftserklärer und als Pandemiebeauftragter eines internationalen Unternehmens tätig war, möchte ich darstellen, welche Rollen Medizin, Politik und Bevölkerung jeweils übernehmen, wie sie in diesen Situationen agieren und welche Positionen und Funktionen sie einnehmen.

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Neues, unsere Gesundheit möglicherweise Beeinträchtigendes kommt auf uns zu. Es kann ein bisher unbekanntes Produkt, eine Technologie oder auch nur eine neue Verhaltensweise sein. Etwas mit ubiquitärer, anscheinender oder scheinbarer Gesundheitsrelevanz, für Menschen ist entstanden. Es könnte eine Schädigung oder Erkrankung sein, die viele treffen wird, wenn, ja wenn was passiert?

Wir erinnern uns noch gut. Der Mobilfunk in seiner Massenausprägung entstand zum Ende des letzten Jahrhunderts. An vielen Orten wurden Mobilfunkmasten aufgebaut. Immer mehr Menschen hielten Handys in den Händen. Schon war mit „Elektrosmog“ ein wunderbar verurteilendes Wort gefunden, das die objektive Frage nach einer tatsächlichen Schädigung eigentlich gar nicht mehr zuließ. „Smog“ kannte jeder als schädliche Umweltsituation und „Elektro“ machte den verbalen Giftschrank für alle Funktechnologien gleichermaßen auf. In Verbindung mit dem Ausdruck „Strahlung“ war das Verurteilungsvokabular perfekt. Kaum war die Technologie im Umlauf, das Verurteilungswort hinreichend bekannt, kamen schon technisch neue Varianten der Handy-„Strahlen“. Sie waren natürlich immer noch schlimmer für die Gesundheit der Menschen als die vorherigen. Es entstand die DECT-Technologie, das drahtlose Telefonieren innerhalb von Wohnungen. Danach kam dann UMTS. Eins immer „gefährlicher“ als das andere. Es traten Menschen auf, die erklärten die Technologie für extrem gesundheitsschädigend. Krebs, Leukämie, Aborte, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Impotenz, Haarausfall, Rheuma, Unfruchtbarkeit, Missbildungen, Osteoporose waren wie selbstverständlich die postulierten Folgen. Man konnte sich nahezu jede Erkrankung oder Beeinträchtigung der Welt herauspicken – immer war „Mobilfunkstrahlung“ schuld. Niedergelassene Ärzte machten „Studien“. Das heißt, sie fassten Eindrücke aus ihren Praxen in Exceldateien zusammen und brachten sie publikumswirksam unter die Leute. So entstand eine große Menge von „Beweisen“ dafür, dass Elektrosmog krank machte. Diese vereinfacht dargestellten Mechanismen, die beim „Elektrosmog“ zu beobachten waren, gelten in vergleichbarer Weise auch für Gentechnologie, Ultraschall, Hochspannungsleitungen, Amalgam usw. Ungeachtet der erkennbaren Tatsachen oder auch der noch offenen Fragen, die Verurteilungen waren immer sofort da und sie waren so manifest, dass später gefundene Entlastungen so gut wie keine Wirkungen mehr hatten. Die Stammtische der Welt hatten ihre Stunde und leisteten „gute“ Arbeit. Das war die weltweite Angst der Mittelschichten, die neue „Pest“ der Erde, und sie brauchte ihre Verschwörungstheorien und natürlich ihre Heiler. Es war außerdem ein gefundenes Fressen für Wissenschaftler, Ärzte, Wissenschaftsförderer, Gesundheitsorganisationen, Fachzeitschriften. Journalisten, NGOs, Selbsthilfegruppen usw. Der Jahrmarkt der Eitelkeiten, der finanziellen Erwartungen, der Dissertationsthemen, Forschungsgelder, Posten und Pöstchen, Artikel, Bücher und Fernsehsendungen und der unendlichen Chancen war eröffnet. Alle handelten natürlich nur im Interesse der Menschen. Aber was wollen sie eigentlich und wo liegen ihre Motive?

Es fällt sehr auf, dass rund um die Erde in fast allen Staaten die gleichen Ängste vor den oben genannten pandemoiden Themen existieren. Es ist gleichgültig, ob die Staaten reich oder arm sind. Was zum Beispiel verbindet den Jemen, Bangladesch, China, USA und Deutschland? Sie alle haben eine Mittelschicht, der es gut geht, die in satten Verhältnissen lebten, die ein schönes Leben hatben  – und das möchten sie um jeden Preis behalten. Da passen mögliche, tatsächliche oder eingebildete Gefahren nicht hinein. Alles bedroht ihr tolles Leben. Sie glaubt fast alles, was man ihr einredet. Alles hat Bedrohungspotenzial. Sie will das risikofreie Leben. Aber vor allem möchte sie ihr persönliches Leben in Wohlstand und Freiheit zwischen Konsum und Drachenfliegen, zwischen Kultur und Fußball oder Formel 1 leben. Alle, die ihr das versprechen oder verkaufen, sind ihr angenehm. Alle pseudowissenschaftlichen und esoterischen Zufluchten sind ihr recht und sie ist satt genug, um die schwache, nach der Aufklärung entstandene Bodenhaftung zu verlieren, nicht ohne nebenbei noch die Natur retten zu wollen. 

Was hat das mit Corona zu tun, wird man fragen? Ganz einfach, wir haben es in der derzeitigen Corona-Krise prinzipiell mit den gleichen Beteiligten zu tun. Medizin, Politik und Menschen. Nur ist die Reihenfolge diesmal invers. Zuerst gibt es Kranke und Tote. Menschen sterben an diesem Virus. Die Mediziner waren sich von vornherein ziemlich einig, dass es sich um eine wirkliche, eine realistische Gesundheitsgefahr handelte. Keinen Fake, kein Gerücht und keine Fehlermeldung. Etwas, das nicht irgendwie und irgendwann über verborgene Mechanismen schleichend zuschlagen könnte, sondern das jeder schon unter den Namen ähnlicher Phänomene kannte. Spanische Grippe, SARS, amerikanische Schweinegrippe, Geflügelgrippe, Ebola, Pest und Cholera sind im Gedächtnis der Menschheit als bedrohlich, als tödlich hinterlegt. Der Unterschied zu den pandemoiden Vorkommnissen war also nicht die Behauptung und dann die Angst, sondern zuerst die konkrete, reale, existenzielle Angst und dann die Verschwörungserzählungen und Verurteilungen. Es ging diesmal nicht um eingebildete oder, um es mir nicht mit allen Lesern zu verderben, um ungewisse weltweite Befindlichkeiten der saturierten Gesellschaften von Afghanistan bis Zypern.

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 China hat uns Corona vorgemacht. Fast über Nacht waren in China Tausende erkrankt und viele gestorben. Viele Menschen in anderen Ländern hatten konkrete Angst, aber ebenso viele fanden China noch sehr weit entfernt und das mit dem globalen Dorf kannten sie zwar, glaubten jedoch nicht, dass sie selbst praktisch am Marktplatz in Wuhan lebten. Viele mussten die späte Entscheidung der WHO und die Ignoranz ihrer eigenen Regierungen mit dem Leben bezahlen. [5],[6] Sehen wir uns die Mechanismen der medizinischen, der politischen und der öffentlichen Entscheidungsfindung an.

Für den Fall einer realen medizinisch begründeten Epidemie/Pandemie gibt es in Deutschland eine Institution, die an der Spitze der Vorkommnisse steht. Das steht so in den Pandemieplänen Deutschlands. Das Robert Koch-Institut (RKI) hat einen Auftrag zur ungefragten Bearbeitung und Information. Außerdem fragt die Politik nach und bittet um Rat. Alles soweit völlig normal und richtig. Die verantwortliche Regierung sucht sich ihre vorher oder ad hoc festgelegten Ratgeber und handelt. Sie erweitert den Ratgeberkreis nach und nach um diejenigen Experten, die in der jeweiligen Phase gebraucht werden, in der sich die Pandemie befindet. Im Gegensatz zu den schon genannten pandemoiden Ereignissen wissen wir oder können es zumindest wissen, dass es sich bei der Infektion mit dem Coronavirus um eine ernste Erkrankung handelt. Es erzeugt eine üble, virale Lungenentzündung (Covid-19) mit, wie wir nach und nach entdeckten, vielen schlimmen Side Effects. [7] Vor nicht allzu langer Zeit gab es mehrere ähnliche Erkrankungen in der Welt. Stichwort Ebola oder SARS. [8] Das waren sehr ernste, noch lokale Bedrohungen mit zahlreichen Todesopfern. Aber wie würde es diesmal sein? Diese Frage stand noch offen?

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Nachdem Corona von seiner Virtualität auf seinen Sendeplätzen im TV und im Internet physisch direkt an die europäischen Frühstückstische gesprungen, ja durch das leichtfertige Verhalten vieler Menschen und Institutionen in verschiedenen Ländern regelrecht durch Europa gepeitscht wurde, war guter Rat teuer. [9] Irgendjemand musste handeln. Und seltsam, der sonst viel geschmähte Staat sollte nun plötzlich seine Pflicht tun und die Bürger schützen. In manchen Ländern liefen die Politiker weg, duckten sich, leugneten jede Art der Gefahr oder Verantwortung, suchten Schuldige oder machten schnell mal Grenzen dicht. Nun denn, so ist das mit den Menschen. Aber dürfen Politiker so handeln? Bitte nicht vergessen, sie sind auch nur Menschen. Sie trifft so eine wahrscheinlich todbringende Pandemie genau wie jeden anderen. Jedoch haben sie ein Amt übernommen und müssen versuchen, ihre Gemeinde, ihre Stadt, ihr Bundesland, ihr Land, aber auch sich selbst und ihre Familien zu schützen, und wenn das nicht geht, wenigstens alles zu unternehmen, um die Situation zu beherrschen und so zu gestalten, dass es in der Zeit nach der Pandemie noch etwas gibt, das man rebooten kann.

Wie machte man das in Deutschland? Wie hat die Regierung das gemacht und wie macht sie es richtig? Es gab Pandemiepläne auf Kommunal-, Länder- und Bundesebene. Diese wurden das letzte Mal im Jahr 2017 aktualisiert. Aber wie wird es diesmal sein? Die Frage war offen, nein, tausend Fragen waren offen. Seltsam, eine vergleichbare Verleumdungsmaschinerie wie bei den pandemoiden Erscheinungsformen üblich, lief nicht an. Alle sonst an solchen Themen beteiligten Schwarzseher, Verschwörungstheoretiker, Schwurbler und Vielschwätzer schwiegen, hielten sich bedeckt. Die sonst so attraktiven konkreten und theoretischen Verführungsformen der saturierten Gesellschaft griffen offenbar nicht. Es galt offenbar, das eigene, schöne Leben zu retten und nicht in eingebildeten Gefahren zu schwelgen.

Erinnern wir uns: In Wuhan trat die Corona-Erkrankung auf. Es dauerte nicht lange, da machte Chinas Staatsführung die Stadt dicht. Der Rest der Welt schaute noch von fern zu und hoffte, dass es dabei bleiben würde. Das war die Gemengelage, die WHO, die Regierungen, die betroffenen medizinischen Einrichtungen, die Medien und die Menschen traf. Corona hatte das Zeug, eine richtige Pandemie zu werden. Dann kam eine Information, und es war eine, wie sich später herausstellte, fatale Information an die Öffentlichkeit. „Es trifft hauptsächlich alte Menschen.“ [10] Sie wurde gleich zu Beginn durch diese einschränkende, fast zynisch anmutenden Information, es träfe hauptsächlich Alte und Kranke, „entschärft“. Dadurch käme es fast zu einer Art Pandemie „Light“. Irgendwie erinnerte es an Katastrophenfilme, in denen nur bestimmte Teile der Menschen von einem geheimnisvollen Virus ausgerottet werden. Viele nicht zu dieser Opfergruppe gehörende Menschen atmeten kurz auf.

Bei Elektrosmog & Co. entstanden an dieser Stelle sofort unendliche (Horror-)Geschichten, die über Jahrzehnte hinweg vielen Menschen Ansehen, Image und Geld bescherten. Es begann die Everlasting Time der Alleswisser, Scharlatane, Schwindler, Technologiefeinde, Verschwörungstheoretiker, Erfahrungsmediziner usw. Das ist die übliche Bühne des weltweiten Gefahrensuchens und -beschwörens. Sie alle wurden auf allen Kontinenten nur zu gern gehört. Wir werden etwas später sehen, dass es auch bei uns diese Gesellschaftsschicht ist, deren Verhalten dieses Geschehen forciert. Die Corona-Pandemie jedoch ließ sie alle – noch – schweigen. Warum?

Weil es sich, wie schon gesagt, bei der Corona-Pandemie nicht um ein nur vermutetes, sondern um ein reales Gesundheitsrisiko handelt, auch wenn noch nicht sicher war, wie gefährlich, tödlich oder irrelevant es für den Einzelnen ist. [11]

Konzentrieren wir uns auf Deutschland. Nach einer kurzen Schockstarre begannen die vorbereiteten Pandemiepläne zu laufen. Die ersten Schritte waren die wichtigsten. Bisher waren die meisten Menschen verunsichert und suchten verlässliche und sichere Führung. Insbesondere die Experten waren nun gefragt. Die Gesellschaft erwartete Aufklärung, Hilfe, Entlastung von und Schutz vor der Pandemie. Natürlich auch, wenn nicht schon alles zu spät war, Heilung, ja Rettung und Hoffnung. Die nationalen Pandemiepläne basieren auf von der WHO erarbeiteten medizinischen Grundlagen und den daraus resultierenden lokalen Handlungsempfehlungen für Gesundheitssysteme und Katastropheneinrichtungen. Hieraus ergeben sich von vornherein schon sehr viele Maßnahmen, vor allem für das Gesundheitsministerium und die ihr direkt oder indirekt zugeordneten Behörden des Gesundheitssystems. Diese Empfehlungen sind grundsätzlicher Art. Vieles richtet sich nach der Art der Erkrankung, denn jede Pandemie ist in ihrer medizinischen Ausprägung anders. Genaueres geben die Pandemiepläne nicht her. Hier müssen nationale und internationale Mediziner und ihre Einrichtungen maßgeblich unterstützen.

Unbekannt oder nur eingeschränkt bekannt sind häufig:

  • Herkunft des Erregers,
  • der Erreger selbst,
  • Infektionswege,
  • Eintrittspforte des Erregers in den menschlichen Körper,
  • Infektion (Art der Infektion, Verlauf, Ausbreitungsart und -geschwindigkeit),
  • Tier-zu-Mensch-Übertragung; Mensch-zu-Mensch-Übertragung,
  • Krankheitsverlauf, Sekundärerkrankungen,
  • Diagnose,
  • Therapie(n),
  • lokale Ausbreitung der Infektion,
  • Mortalität
  • und vieles andere mehr.

Für die meisten dieser Punkte sind Mediziner des RKI sowie vergleichbarer Institute aus allen Teilen der Welt die richtigen Ansprechpartner. Zusammen mit der fortschreitenden Ausbreitung im Land und über Landesgrenzen hinweg kommt auf die gewählten Volksvertreter immer mehr Verantwortung zu. Es gilt, schnelle, richtige machtvolle Entscheidungen zu treffen.

Bevor wir die Beteiligten näher ansehen, greifen wir etwas voraus. Es hatte sich abgezeichnet, dass die Pandemie keine Pest- oder Ebolapotenz besaß. Die voraussichtlich am meisten Betroffenen (ein schöner Euphemismus für wahrscheinlich Sterbende) sind die hochbetagten Menschen und Personen (noch) unspezifischer Risikogruppen. Es waren also relativ niedrige Mortalitätsraten zu erwarten. Von ernsthaften, teilweise sogar chronischen werdenden Sekundärerkrankungen ahnten zu dieser Zeit nur sehr wenige etwas. Dadurch ergaben sich zwei grundsätzliche Vorgehensoptionen für die führenden Politiker eines Staates. Nennen wir sie:

  1. Kurz, billig und blutig: Hierbei lässt man die Pandemie kommen, lässt sterben, wer eben stirbt, hält die Wirtschaft und das Leben weitestgehend unangetastet.[12]
  2. Lange andauernd, teuer und ethisch verträglich (so unblutig wie möglich): Inzwischen kennt jeder den deutschen Lockdown“ mit all seinen sozialen und wirtschaftlichen Folgen. Entsprechend der äußerst disziplinierten Umsetzung hatte dieses Vorgehen eine im Vergleich mit den meisten anderen Ländern sehr niedrige Erkrankungs- und geringe Mortalitätsrate. Die Rechnung „Geld gegen Leben“ wurde von Deutschland nicht eingegangen.

Es gibt auch noch die Variante:

  1. c) Ignorieren oder leugnen und abwarten, aber wir sehen ja, wohin das führte.

Deutschland ging den Weg, den die Variante b) beinhaltete. Sehen wir uns an, wie Politiker in einer Pandemie vorgehen können. Pulmologen, Kliniker, Virologen, Infektiologen, wissenschaftlich arbeitende Mediziner oder Ärzte, Epidemiologen mit ihrem Schwerpunkt auf Statistik und viele andere medizinische Disziplinen stehen bereit, die Politik im Bereich der Erkrankung zu beraten.

Politische Fragen sind in der Regel sehr konkret und absolut. Zu den oben genannten Punkten stellen sie Fragen, die sie konkret beantwortet haben möchten. Ganz wichtig sind ihnen die Punkte: Ausbreitung innerhalb der Bevölkerung, Schwere der Krankheit, Mortalität und vor allem: Wie kommt unser medizinisches System damit klar? Werden die Infektionen zu einer Überlastung der Intensivstationen führen? Hinzu kommen außermedizinische Fragen. Was geschieht mit den Menschen in der Pandemie? Werden sie die Nerven behalten? Kommt es bei Massensterben zu Aufständen, Plünderungen, Anarchie? Wohin mit den Leichen? Wie können (Groß-)Unternehmen reagieren, wie geordnet „runterfahren“? Wie wird sich die Arbeitslosigkeit entwickeln? Wird es genug zu essen geben, Strom, Wasser, Medikamente, Geld, Transport, Polizei, Armee etc.?

Hier waren nicht medizinische Experten gefragt. Doch war die Beantwortung zunächst mangels vorliegender Erkenntnisse kaum möglich. Zu wenig war bekannt, zu viel Spekulation oder nennen wir es Hypothese. Von einer überprüfbaren Theorie waren die meisten noch weit entfernt. Für all diese Probleme brauchten die verantwortlichen Politiker Informationen aus verlässlichen Quellen. Damit nicht genug: Was sagt man den Bürgern, den Medien, den Ländern und Bündnissen? Wie kommuniziert man das eigentlich Unaussprechliche? Die Idee eines brutalen Lockdown tauchte auf.

Entscheidungen waren gefragt. Die BürgerInnen warteten und hofften. Dabei war die Gefahr riesig, dass man alles falsch machen könnte.

Das ist die Erwartungshaltung der Politiker, die an die Mediziner und sonstigen Berater und Fachministerien gestellt werden. Es ist die absolute Stunde der ExpertInnen.

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Exkurs: Wann ist man Experte/Expertin?

Um als Experte/Sachverständiger zu fungieren, muss man in den USA, Kanada und UK einem Standard entsprechen. Es ist eine Handlungsanweisung, die feststellen soll, ob jemand hinreichend qualifiziert für eine infrage stehende Thematik ist, um einem Gericht die ihm fehlende Expertise zu ersetzen und ihm damit zu helfen, ein Urteil zu fällen. Es trägt den Namen: Daubert-Standard bzw. Daubert Principle (in Kanada und UK sind die Regelungen etwas abweichend).[13] Es soll geprüft werden, ob der oder die Befragte nach Methoden urteilt, die folgenden vier Kriterien gehorchen:

  1. Empirische Überprüfbarkeit: Lassen sich die verwendeten Methoden bzw. Theorien verifizieren oder falsifizieren?
  2. Wurden die Methoden in einer Fachzeitschrift veröffentlicht und dabei einem Peer-Review unterzogen?
  3. Gibt es eine Aussage über die Unsicherheit der Methode und wird diese Aussage bei der Bewertung der Ergebnisse berücksichtigt?
  4. Ist die Methode in einer maßgeblichen wissenschaftlichen Gemeinschaft allgemein anerkannt?

Im Wesentlichen sind diese Anforderungen an NaturwissenschaftlerInnen bzw. anerkannte MedizinerInnen gerichtet. In etwas abgeschwächter Form gelten sie auch für nicht naturwissenschaftliche ExpertInnen. Leider haben wir in Europa (außer UK) meines Wissens nach nichts Vergleichbares. Das bedeutet, dass die Politik (auch in Deutschland) oft nach Titeln, Positionen, Empfehlungen, Bekanntschaft etc. urteilen muss. Ungeachtet dieser Unsicherheiten des tatsächlichen Expertentums stellt die Politik drängende und für Entscheidungen essenzielle Fragen.

Nun ist es ein Teil Glück, die richtigen BeraterInnen zu finden. Denn neben ihrer überragenden Expertise ist es mindestens ebenso wichtig, dass die befragten WissenschaftlerInnen in der Lage sind, den drängenden Anforderungen, Wünschen, ja Verführungen der Situation zu widerstehen. Der alte Spruch „Schuster, bleib bei deinem Leisten“ gilt mehr denn je, je herausragender und vor allem öffentlichkeitswirksamer die Position des/der Betroffenen ist. Viel drängender und essenzieller als in einer mehr oder weniger tödlichen Pandemie geht es ja kaum. Ein ganzes Land hängt an den Lippen der Verantwortlichen und ihrer ExpertInnen. Wie groß ist da der Wunsch der Politiker, ihre Verantwortung weiterzugeben und sich hinter wissenschaftlichen Aussagen zu verstecken? Mit jedem Interview, mit jeder Nachfrage wird die Versuchung für die Experten stärker, Aussagen zu interpretieren und immer mehr zu verfestigen, um klare und deutliche, die Öffentlichkeit befriedigende Erklärungen geben zu können. Wie groß ist der Sog, den Politiker, Medien und Öffentlichkeit ausüben, um immer mehr und immer deutlichere Aussagen von ExpertInnen zu bekommen? Nun haben die Politiker, was sie brauchen. Sie „besitzen“ Experten der ersten und zweiten Stunde, die ihnen wichtige Teile der Kommunikation abnehmen.

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Daher lastet ein gigantischer Druck auf Medizinern, Virologen, Klinikern und Epidemiologen. Die Medien, die Politik und die Menschen zerren ihnen jedes Mikrogramm an Wissen heraus. Es ist ungeheuer schwer für Institute, ruhig ihren Job zu machen. Experten werden gefragt, gebeten, gedrängt, gepresst, gelockt, verführt, den Fragenden das zu geben, was sie hören wollen: Wissen, Erkenntnis, Verlässlichkeit und vor allem Hoffnung.

Hierin unterscheiden sich Pandemieumstände wenig von pandemoiden Situationen. Nur ist hier die Bedeutung von Fehlern, Fehleinschätzungen und Irrtümern sehr viel größer.

Jetzt passiert es. ExpertInnen geben nach, werden weich, immer weitergehende Fragen werden gestellt. Sie werden immer omnipotenter gesehen, und nach und nach fühlen sie sich auch so. Plötzlich reden Virologen über Epidemiologie, Kliniker über Virologie, Epidemiologen über Therapien, alle über wirtschaftliche, technische und soziale Aspekte der Krise. Die Fragenden differenzieren kaum noch zwischen den Disziplinen. Die Talkshows der Republik schon gar nicht. Fachexperten der ersten Stunde werden weiter und weiter gefragt, ja fast gezwungen, auf Dinge zu antworten, die deutlich über ihr Fachgebiet hinausgehen. Das alles ist so verständlich, so menschlich, aber auch so falsch. Politiker suchen nach Wegen, die Krise zu bewältigen, und hängen an den Aussagen der WissenschaftlerInnen. Es ist für sie unbedingt wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass sie nur wissenschaftliche Erkenntnisse ihres Bereichs liefern können, soweit sie über solche verfügen. Die Entscheidungen dürfen nur vonseiten der Politik kommen. Dies ist ein Kernsatz jeder Pandemie, so simpel er scheint.

Spätestens nach den ersten Entscheidungen kommen die Populisten, die keine wirkliche Rolle im Entscheidungsprozess spielen, aber die von den Medien gefragt werden, weil sich die wirklichen Fachexperten hoffentlich nicht mehr zu weiteren Einlassungen drängen lassen. Oft mit wohlklingenden Namen oder Titeln stehen sie den Medien, Gruppen, Regionalpolitikern Rede und Antwort. Sie generieren wohlfeil die Antworten, die in der Regel weiter gehen als die der verantwortlichen Personen. Es reden hier die vermeintlich Übergangenen, offiziell nicht Gefragten. Sie werden „Universalgelehrte“, und wie sie reden. Ohne Verantwortung zu haben, analysieren, kritisieren, medisieren und verurteilen sie. Sie produzieren Meinung auch in Feldern, die noch nicht einmal zu ihren Randkompetenzen gehören. Jetzt endlich sind wir auch wieder vollständig im Feld der pandemoiden Ereignisse angekommen. Dort funktioniert es genauso, jahre- und jahrzehntelang. Jetzt gilt es, sich die lukrativen Posten im Kommunikationsbereich zu sichern. Es werden Andockpositionen gesucht. In Fällen pandemoider Effekte kostet es ungünstigstenfalls nur Geld, Chancen, den Verlust von Technologievorsprüngen oder internationale Vorteile. Ganz anders bei der Corona-Pandemie. Draußen tobt die Pandemie weiter, nur nicht mehr so laut. Das Sterben im eigenen Land ist leiser geworden und hat sich von den Menschen entfernt. Horrorszenarien wie die Triage scheinen Geschichte. [14] Sie klingen nur noch wie böses Rauschen aus südeuropäischen Ländern, den USA oder Brasilien. In einigen Ländern sterben täglich noch Tausende, aber an uns ist der Kelch noch einmal vorübergegangen.

Oder scheint es nur so?

Wie auch immer. Kaum ist die größte Gefahr vorbei, schon kommen sie hervor, alle aus pandemoiden Ereignissen oben bekannte Akteure. Als hätten sie nur darauf gewartet, endlich ihre lang gehegten Überzeugungen, Vorwürfe, Beschuldigungen, Ahnungen, Weltuntergangs- und Verschwörungsszenarien erneut unters wieder gern zuhörende Volk zu bringen. Ihre Absicht ist es, Menschen aufzuhetzen, zu bedrohen, zu ängstigen, zu verführen und dabei ihr Mütchen zu kühlen, Geschäfte zu machen, ihr Ego zu stilisieren, Erreichtes mit Schmutz zu bewerfen und dabei ein erneutes Ausbrechen des Corona-Geschehens zu riskieren, ja zu forcieren. Sie setzen sich zum Stimmenfang auf denselben Rasen, auf dem kritische Menschen nach den näheren Umständen des Geschehenen fragen; zu Menschen, die fragen: Haben die Verantwortlichen alles richtig gemacht, oder auch hätte manches besser gemacht werden können? Werden Bürgerrechte, die zum Schutze aller eingeschränkt worden sind, wieder zuverlässig freigegeben? Sind Verhaltensweisen eingerissen, die schon wieder abgeschafft worden sein sollten, und vieles andere mehr? Wie geht es weiter? Abstand, und zwar mehr als 1,5 m zu denen, die ihre teilweise wirklich üblen Absichten mit dem Mäntelchen der Bürgerrechte, der persönlichen Unglückssituationen anderer bedecken, wäre jetzt angebracht.

Eine Absage an den Geist, der so tut, als hätte irgendjemand die Corona-Krise, das Virus angeschaltet, und nun könnten wir es einfach wieder abschalten, wäre mehr als nötig.   

„Das kann doch gar nicht sein, vorgestern sollte man keinen Mundschutz tragen und heute ist es das Allheilmittel. In der Wissenschaft ist das alles eben auch nur Meinungssache“, hört man sagen. Wie auch bei pandemoiden Erscheinungen folgt eine heftige, noch unspezifische Abwehrreaktion eines kleineren Teils der Gesellschaft. Allerdings gibt es doch einen Unterschied: Die Anzahl der Experten ist (noch) nicht unendlich groß. Auch gibt es (noch) nicht viele vordergründig lang bemühte Forschungsgelder zu ergattern, Enthüllungen zu schreiben, aber schon etliche Vermutungen und Verschwörungen zu pflegen. Krude Inhalte werden einfach angehängt. Hier einige Beispiele: Ein Impfstoff wird von der Regierung zurückgehalten, das Virus kann durch chinesische Produkte übertragen werden, Bill Gates will die Menschheit zwangsimpfen, das Virus ist ein missglückter US/China-Militärversuch, das Virus ist eine Biowaffe. Es gibt Spekulationen, dass 5G-Strahlung das Virus im Körper aktiviert. [15] Eine weitere Erzählung besagt, dass das Virus absichtlich verbreitet wurde, um die Folgen von 5G zu vertuschen. In der schlimmsten Erzählung sind sowohl 5G als auch das Virus Teil eines größeren Plans, um die Erdbevölkerung zu dezimieren. Ob unsinnig, dumm oder verrückt, völlig willkürlich werden Themen aus Vor-Corona-Zeiten wiederbelebt oder neu erfunden. Auf einmal erscheint „5G-Technologie ist Verbreiter, Erzeuger der Coronaviren“, und schon geht es zum lustigen Verbrennen von Basisstationen. Ob dort, wo sie verbrannt werden, 5G existiert oder nicht. Es ist alles genau wie vor 30 Jahren beim Beginn der „Elektrosmog-Pandemie“ die bis heute anhält und nun endlich wieder stärker befeuert werden kann. Beinahe alles ist so unglaublich wie die Behauptung, dass bei Umstellung auf Sommerzeit die Sonne wartet, bis die Erde sich eine Stunde weitergedreht hat. Aber viele Menschen glauben ja auch an eine hohle Erde.

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Wie kommt es nun zu diesen Phänomenen, die mit Logik und Tatsachen, Fakten also, nichts zu tun haben? Es gibt drei grundsätzliche Verständnisdefizite, denen Politiker und die nicht naturwissenschaftlich orientierte Allgemeinbevölkerung, ja selbst etliche Ärzte fast hilflos ausgesetzt sind.

  • Missverständnis: Es existiert eine Kluft zwischen Ärzten und naturwissenschaftlich arbeitenden Medizinern. Dies äußert sich häufig in einem eingeschränkten Vorgehen, mangelhaften Analysen und schwachen oder falschen Schlussfolgerungen. Dennoch: Menschen glauben ihrem „Doktor“ fast alles.
  • Überschätzung: Menschen bewerten Naturwissenschaften als Genie- oder Freakwissen und weniger als vorläufigen Wissensstand an der vordersten Grenze der Erkenntnis. Das Resultat: Sie verstehen jede Hypothese/Theorie als absolut und unveränderbar. Das fällt uns bei jeder Problematik, also auch bei einer Pandemie mit sich schnell und häufig verändernden Kenntnissen über Erreger, Ansteckung, Mortalität etc. böse auf die Füße und erschüttert den Glauben an die Wissenschaft nachhaltig.
  • Unverständnis: Bezogen auf die gesamte Bevölkerung weiß so gut wie niemand, wie Naturwissenschaft funktioniert, was sie kann und vor allem was sie nicht kann und auch gar nicht versucht bzw. nicht will. Das Resultat: Völlige oder partielle Unkenntnis und sich verändernde Aussagen werden als Schwäche, Beliebigkeit und völlige Unzuverlässigkeit der Wissenschaft interpretiert. Man misstraut ihr.

Nun hilft es wenig, den Punkt 3 anzuführen, wenn er nicht näher erklärt wird.[16]

Die Kids lernen in der Schule normalerweise Physik oder Chemie, aber über deren wissenschaftliche BASICS lernen sie so gut wie nichts.

Wenn es so wäre, könnten sie verstehen, wie naturwissenschaftliche Erkenntnisse funktionieren. Sie würden auch verstehen können, wodurch sie sich von Geisteswissenschaften unterscheiden und wie evidenzbasierte medizinische Erkenntnisse zustande kommen. Wer grundlegende Erkenntnis-Theorie in der Schule lernt, erkennt,

dass eine Theorie so lange Bestand haben muss, bis nachgewiesen ist, dass sie nicht zutrifft. Von einem „Beweis“ auszugehen, ist nicht richtig.

Heißt das, wir wissen überhaupt nichts sicher? Durchaus nicht. Bei vielen Erscheinungen unseres Lebens, die wir tagtäglich erfahren, können wir davon ausgehen, dass wir uns auf sie verlassen können. Nur weil wir bei der Erforschung der Schwerkraft nach den tatsächlichen Ursachen ihrer Wirkung immer noch nicht viel weiter gekommen sind, heißt es nicht, dass morgen jemand kommt und sie für nicht existent erklärt oder dass ihre bisher bestehende Theorie falsch ist. Wir wissen es nur nicht so sicher, wie wir die Lottozahlen der letzten Ziehung kennen. Überprüfungen können eine Theorie widerlegen; sie können sie falsifizieren, aber nicht als wahr verifizieren. Sie können also eine unter naturwissenschaftlichen Rahmenbedingungen aufgestellte Theorie zwar als möglicherweise falsch, nie aber als wahr erweisen. 

Allerdings gilt das nicht für alle möglichen Theorien. Die „Theorie“, dass Donald Trump als Prophet im neuen „Glauben“ der QAnon mittels seiner Schreibfehler auf Twitter verborgene Nachrichten von Gott sendet, ist nur krude und hat mit der Art Theorien, die aus der Wissenschaft kommen, nichts zu tun. Das ist schon deshalb so, weil die Naturwissenschaft den Teil mit Gott und seinen Nachrichten wissenschaftlich nicht überprüfen kann. Wer behauptet, alle Ideen könnten als richtig gelten, bis das Gegenteil bewiesen ist, missbraucht Karl Popper und seine Falsifikationsaussage. Theorien müssen überprüfbar sein, sonst sind es keine wissenschaftlichen Theorien, sondern nur Ideen. Im Alltag müssen wir nicht ununterbrochen die Falsifikation einer Annahme versuchen, es reicht meistens aus, eine Haltung einzunehmen, die kritisch ist; eine skeptische Haltung, die sich kritische Überprüfungen des Behaupteten zunutze macht.

Ich hoffe, dass dieser Essay nicht nur diejenigen erreicht, die Karl Popper entweder in ihrer Schulzeit, im Studium oder Berufsleben kennengelernt haben. Der Durchseuchungsgrad mit esoterischen Ideen (Astrologie, Engellehre, Wahrsagerei, Erdstrahlen, Mondkalendern, Reiki, Bachblüten, Tarot, Levitation, QAnon, Channeling, Orgon-Akkumulatoren, Telepathie, Handlesen, Chakren, Heilsteinen, Spirit-Boxen, Pendeln, Numerologie, Nahtoderfahrungen, alternativen Heilern, Homöopathie und, und, und liegt bei sicherlich 80-90 %. Das Wissen um naturwissenschaftliche Basics liegt wahrscheinlich bei 2 %. Diese 2 % sichern unser gesamtes technisches Leben und vieles mehr. Nach dem Scheitern der Aufklärung befinden wir uns im sogenannten „Informationszeitalter“. Für die Menschheit wäre es besser, wir hätten das „Wissenszeitalter“, dann aber wäre das Internet sicher zu 70 % leer.

However – ich bin sicher, die Menschheit überlebt jede Pandemie – irgendwie.

Fußnoten

[1] Karl Popper 1934: Logik der Forschung. Zur Erkenntnistheorie der modernen Naturwissenschaft. 11. Aufl. 2005, ISBN 3-16-148410-X

[2] 7. Januar 2020: Neues Coronavirus als Erreger in China identifiziert. Laut WHO gelingt es chinesischen Experten, den Erreger 2019-nCoV (Merkur.de*) zu identifizieren. Er gehört demnach zur großen Familie der Coronaviren, die harmlose Erkältungen auslösen können – aber auch schwere Atemwegserkrankungen wie SARS.

[3] 23. Januar 2020: Wuhan mit seinen 11 Millionen Einwohnern wird unter Quarantäne gestellt. 25. Januar 2020: In China werden nun knapp 60 Millionen Menschen unter Quarantäne gestellt.

[4] „Corona“ nennt man die Hülle dieser Art von Viren, die unter dem Mikroskop wie ein Kranz aussieht.

[5] Die WHO beschließt nach einer zweitägigen Krisensitzung, vorerst keinen internationalen Gesundheitsnotstand auszurufen. Zur Begründung heißt es, bisher gebe es außerhalb Chinas „keine Hinweise“ auf eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung.

[6] Katastrophal viele Menschen in Italien, Spanien erkranken und sterben. Durch Leugnung der Gefahr werden USA und Brasilien die am stärksten betroffenen Staaten weltweit.

[7] Die neuartige Lungenerkrankung aus China wird von der WHO Covid-19 genannt. Das Virus erhält den Namen Sars-CoV-2.

[8] Ebola ist eine oft schwer verlaufende Infektion mit Fieber und Blutungen (hämorrhagisches Fieber). Die Krankheit wird durch das Ebola-Virus ausgelöst, das zu den gefährlichsten Erregern der Welt zählt. Es gibt bisher keine wirksamen Medikamente oder Impfungen dagegen.

[9] 24. Januar 2020: Erste Fälle in Europa

[10] 60 Prozent aller COVID-19-Verstorbenen sind in Pflegeheimen oder von Pflegediensten betreute Menschen. Deren Anteil an allen infizierten Personen beträgt aber nur 8,5 Prozent. (Onlinebefragung der Universität Bremen, Juni 2020)

[11] Risiko ist Eintrittswahrscheinlichkeit mal Schadenshöhe.

[12] So hat es Schweden gemacht. Das Ergebnis: die höchste Sterberate pro 100.000 Einwohner in Europa, aber vielleicht die geringsten wirtschaftlichen Einbußen.

[13] U.S. Supreme Court case, Daubert v. Merrell Dow Pharmaceuticals, 509 U.S. 579 (1993).

[14]     Triage ist ein aus der Militärmedizin herrührender Begriff für die – ethisch schwierige – Aufgabe, etwa bei einem Massenanfall von Verletzten oder anderweitig Erkrankten darüber zu entscheiden, wie die knappen personellen und materiellen Ressourcen aufzuteilen sind. Es handelt sich dabei um ein Stratifikationsverfahren vor der vollständigen Diagnose.

[15] „5G“ bezeichnet einen neuen, wesentlichen Mobilfunkstandard, dessen Funkzellen in Städten engmaschiger ausgebaut werden als bei Vorgängertechniken.

[16] Naturwissenschaft ist: „Die kritische Methode der Wissenschaft von Versuch und Irrtum: Es ist die Methode, kühne Hypothesen aufzustellen und sie der schärfsten Kritik auszusetzen, um herauszufinden, wo wir uns geirrt haben.“ Karl Popper (1902-1994): „Ausgangspunkte. Meine intellektuelle Entwicklung.“ Die Folge aus Poppers Ansatz ist das Prinzip der Falsifizierbarkeit. Auf unbeantwortete oder unbefriedigend erscheinende Fragen geben wir versuchsweise eine Antwort. Diese unterziehen wir einer strengen theoretischen und/oder praktischen Prüfung. Wenn sie diese nicht bestehen, verwerfen wir diese Antwort und versuchen, sie durch eine bessere zu ersetzen. Wichtig: Im Gegensatz zu beispielsweise der Mathematik gibt man es also auf, eine Theorie beweisen zu wollen, und beschränkt sich darauf, zu versuchen, eine Theorie zu widerlegen. Sollte eine Widerlegung prinzipiell gar nicht möglich sein, dann ist das Problem naturwissenschaftlich nicht zu bearbeiten (z.B. der Versuch Gott zu widerlegen).

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Africa

Wie ein Erdrutsch ...

Wie ein Erdrutsch …

 

Africa

Um in diese gefährliche Situation zu kommen, hatten wir nur einen dummen Fehler machen müssen.

Unser Range Rover, ein halb offener Wagen, geländegraugrün, Vierradantrieb, Mitteldifferentialsperre und mit allem möglichen technischen Schnickschnack, hatte schon uns seit Tagen durch den Tarangire Nationalpark gefahren. Wir waren auf der Suche nach Elefanten, nicht nach irgendwelchen Elefanten, wie die Rangers sie für Touristen ausfindig machen. Nein, wir suchten nach ehemaligen Handaufzuchten der Tarangire-Elefantenstation. Es ging um Elefanten, deren Mütter von Wilderern getötet wurden. Vor vielen Jahren hatte die Rettungs-Station sie aufzogen und anschließend ausgewildert. Wir waren hier um nachzusehen, ob die Tiere noch am Leben waren und wie sie sich entwickelt hatten. Erkennungsmerkmale waren Fotos und Zeichnungen von Ohrprofilen, Narben und anderen unvergänglichen Körpermerkmalen, wie zum Beispiel einem unterhalb der Schwanzwurzel gebrochenen Schwanz, einem Pigmentfleck unter dem Auge und vieles andere mehr.

Unser karges Frühstück und die Thermoskanne in den klammen Händen stolperten wir noch vor Sonnenaufgang mit schlafsteifen Knochen zum Auto. Baka war ein Mann mit großem Elefantenwissen, enormer Ortskenntnis und ergraut im Dienst als Game Ranger der Aufzuchtstation. Wir wollten versuchen möglichst viele ausgewilderte Elefanten aufzuspüren. Doch das hatte sich im Laufe unserer Suche als schwieriger herausgestellt als vermutet. Jedenfalls fluchten wir wie jeden Morgen über das verdammte frühe Aufstehen und Herumfahren. Das Thermometer des Wagens zeigte 4°C und wir zitterten in unseren viel zu dünnen Klamotten und den dämlichen kurzen Hosen. Der Fahrtwind und die fensterlosen Autotüren machten die Fahrt auch nicht angenehmer.

„Scheiß, Elefanten, verdammte!“, fluchten wir abwechselnd, auf Suaheli, Deutsch und Englisch.

„Es ist wie verhext, nach fast einer Woche haben wir nicht einen von ihnen gefunden“, maulte Baka. Heute schenkte ich mir Beschwörungsformeln, wie „Es wird schon noch …“ oder „Pass auf, heute haben wir Glück.“ Sie dienten mittlerweile sowieso nur noch meinem eigenen Durchhalten.

Mama Afrika schickte pünktlich um 6:15 die Sonne auf Streife und wie jeden Tag staunten wir über ihre rasende, fast senkrechte Reise zum Zenith. Stundenlang fuhren wir die typischen Elefantenrouten und Trinkplätze ab. – Vergeblich!

32° heißer und fünf Stunden später verfluchten wir statt der Kälte die Hitze, die Fliegen, den Schweiß und den Staub, der uns die Sicht und den Atem nahm. Am Ufer des Manjara stellten wir das Auto in den Schatten und rasteten, tauschten Fliegen gegen Mücken, Elefanten gegen Nilpferde, Giraffen und Warzenschweine. Wir kauten unser Lunchbrot, dessen zerflossene Butter unsere Hemden mit dunklen Flecken verzierte, und tranken dazu heiße Cola, die immer noch besser schmeckte, als das fade Wasser. Baka blieb fahrbereit hinter dem Steuer sitzen und hielt dort sein Nickerchen. Ich machte es mir hinten auf der Aussichtsfläche des Autos bequem, legte mir den Hut aufs Gesicht und schlief sofort ein. Kaum hatte ich die Augen geschlossen, zog er auch schon wieder an meinem Fuß.

„Ist ja gut,“ murmelte ich noch schlaftrunken und ausgedörrt wie ein Flussbett in der Trockenzeit. Doch er kniff mich gemein in den Oberschenkel. Ich schrie vor Schmerz, riss die Augen auf und erkannte – das ein Pavianmännchen neben mir auf der Pritsche saß und versuchte mit seinen riesigen Zähnen an den Inhalt meiner Hosentaschen zu kommen. In Panik stoben wir auseinander. Der Pavian sprang schreiend vom Wagen und rannte davon, als wäre der Teufel hinter ihm her.

Der Motor röhrte und Baka wendete in einer engen Kurve und raste, die Hand auf die Hupe gepresst, in die Steppe hinaus. Die Paviane spritzten auseinander als würden wir durch eine Schlammpfütze jagen.

Die Reißzähne eines Pavianmannes sind lang wie Löwenzähne, und wenn die Tiere kämpfen, beißen sie erbarmungslos zu. Wenn es sein muss, legen sie sich mit Leoparden, Hyänen und Löwen an und wenn die ganze Herde auf uns losgegangen wäre, hätten wir keine Chance gehabt.

Den ganzen Nachmittag sahen wir nur wenige Elefanten. Es war selbst für sie zu heiß. Über den azurblauen Himmelsbaldachin schlichen nur wenige Wölkchen. Die Zeit stand still in der Steppe. Selbst das ewige Zwitschern der Webervögel war verstummt. In der Ferne stand ein Nashorn mit gesenktem Kopf in einem silbrig wabernden Scheinsee und schien auf irgendetwas zu warten. Aus einer Erdhöhle schauten die argwöhnischen Augen eines Warzenschweins über seine mit Hauern bewehrte Schnauze zu uns herüber. Staubteufel, die sich, von kleinen Wirbelwinden nach oben gezogen, aus der Steppe erhoben, fielen nach kurzem Vorwärtstaumeln hilflos in sich zusammen. Kastaniengroße schwarze Käfer schossen wie Kanonenkugeln durch die Luft und gemeinsam mit Mistkäfern, die begeistert ihre Dungkugeln rollten, war es das Einzige, das sich in der bleiernen Luft des frühen Nachmittags mit Freude bewegte. Noch immer keine Elefanten. Ich war hundemüde und Baka schlug vor, zur Swamp Bridge zu fahren.

„Wenn wir dort sind, dämmert es und vielleicht kommen sie zum Trinken und außerdem ist es auf dem Weg zum Lager.“ Resigniert hatte ich zugestimmt und seitdem stand ich auf der Pritsche des Wagens und genoss wenigstens den Fahrtwind.

Die Swamp Bridge führt über einen kleinen Sumpf. Schilf, dichtes Buschwerk und einige Bäume bildeten dort eine grüne Oase. Hier hofften wir, Elefanten zu finden. Wir fuhren, auf einem schmalen Weg hinein und genossen die schattige Atmosphäre inmitten dieser lebensharten, glühenden Steppe. Vor uns flog zeternd ein Schwarm Prachtfinken auf, Großlibellen mit ihren riesigen Flügeln rasteten am Schilf längs des Weges und zwei Dikdiks, hasengroße Zwergantilopen, flüchteten aufgescheucht ins Unterholz. Bald erreichten wir die in der Kolonialzeit angelegte Brücke. Sie war aus Stein, wenig breiter als unser Auto und führte in geringer Höhe über den Sumpf. Vorsichtig fuhren wir hinüber, aber trotzdem holperte es geräuschvoll, als wir das Ende erreichten.

Wie ein Bergrutsch brach sie aus den Büschen, peitschte den Rüssel durch die Luft, stellte die Ohren drohend auf, warf den Kopf in die Höhe und stierte mit kleinen, rot unterlaufenen Augen zu uns herab. Trompetend stürmte sie ein paar Schritte auf uns zu. Dann stand sie still, wie aus Bronze gegossen. Nur war das hier keine Statue. Da drohte ein drei Tonnen wiegender, wütender Elefanten, unseren Wagen jeden Moment zu zertreten, aufzuspießen und durch die Luft zu schleudern. Baka verschwand hinter seinem Lenkrad. Ich ging auf der Pritsche in Deckung. Klein machen, unsichtbar werden und hoffen, dass es ein Scheinangriff blieb.

Ihre Silhouette ragte in die glühende Sonnenscheibe und ihr Schatten verdunkelte den Boden, kroch auf unseren Wagen und nagelte ihn fest. Sie fixierte uns lange Minuten. Wir wagten nicht zu atmen. Langsam senkte sie den Kopf und beobachtete uns. Baka tauchte hinter dem Steuer auf und legte vorsichtig den Rückwärtsgang ein. Er wollte über die enge Brücke zurück fahren, um dem wütenden Elefanten aus dem Weg gehen. Die Hinterreifen standen noch auf der Brücke und Baka fuhr langsam an.

Ich hielt mich fest und beobachtete sie. Wir hatten erst eine Wagenlänge hinter uns, da fiel mein Blick auf eine Pfütze. Das Wasser vibrierte, zeigte kleine Wellenberge und Täler. In diesem Moment ahnte ich, was los war.

„Baka, mach den Motor aus!“ Er drehte sich zu mir um, als wäre ich verrückt geworden.

„Mach schon, schnell.“

Krächzend verstummte der Motor. Es wurde totenstill. Das Vibrieren der Pfütze blieb.

Sie reden miteinander

Sie reden miteinander

Die Elefantenkuh erzeugte Infraschallwellen und sprach mit jemandem, den wir nicht sehen konnten. Andere Elefanten? Ich sah mich hastig um. Da drüben warteten sie. Sechs, acht, nein, elf erwachsene Tiere standen am anderen Ende der Brücke. Sie sahen zu uns herüber, hatten den Kopf gehoben, witterten, und sie riefen nach ihr.

Für eine Elefantenkuh war sie riesig, im besten Alter, mit prachtvollen Stoßzähnen und rötlich vom Staub der Steppe. Wahrscheinlich war es die Leitkuh. Drüben standen erwachsene Muttertiere, Halbwüchsige und einige noch sehr junge Kälber.

„Wir müssen abwarten. Zurück können wir jedenfalls nicht. Sie wird uns folgen und da hinten wartet die Familie“, sagte ich.

„Ja, aber sie muss über die Brücke um hinüber zu kommen. Sie kann nicht durch den Sumpf. Alle Elefanten benutzen diese Brücke“, sagte er leise. „Verdammt, ich hätte besser aufpassen müssen.“

Wir standen also genau zwischen der Leitkuh und ihrer Herde, trotzdem sagte ich so ruhig wie möglich:

„Was soll’s Baka, Shit Happens. Wir müssen eben warten.“

„Aber in zehn Minuten ist es dunkel. Komm ins Auto, ich versuch mal was“, sagte er.

 

Vorsichtig kletterte ich durch das hintere Fenster in den Wagen und setzte mich auf den Beifahrersitz.

„Ich fahre ganz langsam von der Brücke herunter und ganz links rüber. Ich hoffe, sie begreift, dass wir ihr den Weg freimachen wollen“, flüsterte er entschlossen, und es klang wie ein Gebet. Er zog den Kopf zwischen die Schultern, griff zum Zündschlüssel und drehte ihn zögernd herum. Der Motor kam sofort. Baka nahm das Lenkrad fest in beide Hände, setzte sich zurecht und gab sanft Gas, wie um nicht zuviel Lärm zu machen. Die Reifen bewegten sich millimeterweise. Fast unmerklich schob sich der Rover zum Brückenende. Wieder hob die Leitkuh aufmerksam den Kopf. Je weiter wir voran kamen, desto größer wurde sie, und als die Vorderreifen von der Brücke rollten, und es einen kleinen Ruck gab, schnaubte sie heftig, griff mit dem Rüssel nervös in den Staub und schleudert ihn unwillig in unsere Richtung. Prasselnd schlug der Dreck auf die Frontscheibe. „Hau ab!“ hieß das. Die Warnung war unmissverständlich. Sie zog das rechte Vorderbein zurück, stieß den Fuß mit der Vorderseite in den Boden, dass es aufspritzte, machte einen halben Schritt rückwärts, um doch sofort wieder zurückzukommen, und brummte drohend. Ich schaute nach Hinten und sah, einige Elefanten auf die Brücke kommen. Die untergehende Sonne färbte die riesigen Stoßzähne der Leitkuh rot und die tiefen Falten ihrer Stirn, wurden schwarze Streifen wilden Zorns.

Baka zog noch weiter nach Links, weg vom wütenden Elefanten. Noch immer war zu wenig Platz auf dem schmalen Weg für uns und das riesige Tier. Wir fuhren mit dem Wagen weiter ins Gebüsch. Wir brauchten einfach mehr Abstand. Sie schnaufte schwer und schaukelte erregt den gewaltigen Kopf. Sie griff mit dem Rüssel ins Schilf, riss es ab und warf es auf die Erde. Ihr Blick fegte von uns zu ihrer Herde und wieder zurück.

Das Infraschallbrummen wurde noch stärker. Wegen des laufenden Motors konnten wir es nicht spüren. Wir sahen nur die Wellenberge in der Pfütze neben der Brücke immer deutlicher. Die lautlosen Elefantenstimmen ließen die Erde beben.

Unser linker Vorderreifen schob sich immer weiter ins Gestrüpp. Zweige drangen durch die Fensteröffnung und ich beugte mich weit zu Baka hinüber. Die Dämmerung stahl die Farben und machte die wütende Elefantenkuh zu einem grauen Berg. Wir hörten ihr erregtes Atmen trotz des Motors. Der Range Rover walzte das Gebüsch nieder und die Lücke zwischen uns und der Brücke, durch die sie gehen sollte, wurde größer. Der Wagen bekam immer mehr Schräglage und wir waren noch nicht sicher, ob sie uns verstand.

„Geh rüber, geh einfach über die Brücke“, presste ich durch die zusammengebissenen Zähne und rutschte ganz nach vorn auf meinem Sitz, als könnte ich dadurch mehr Platz für das Tier schaffen. Jede Minute wurde es dunkler.

„Machst du das Licht an?“, fragte ich.

„Nein“, flüsterte Baka, „das erschreckt sie vielleicht.“

Am Abendhimmel erkannten wir ihren erhobenen Rüssel.

„Sie riecht ihre Gruppe.“

„Geht sie endlich?“

„Keinen Millimeter. Vielleicht ahnt sie was wir wollen, aber sie bewegt sich nicht.“

Trompetend riefen die Elefanten nach ihrer Leitkuh.

„Sie will nicht. Die Lücke ist immer noch zu klein.“

„Wenn ich weiter fahre, kippt der Wagen um und wir sind im Eimer.“

„Mach den Motor aus. Vielleicht geht sie dann hinüber.“

Röchelnd erstarb das Motorengeräusch und schlagartig war es still.

Das niedergefahrene Gebüsch knackte. Grillen zirpten. Ein Pavian bellte in der Nähe und das Glucksen des Wassers wäre beruhigend gewesen, wenn nicht dieser wütende Elefant vor uns gestanden hätte. Nun fühlten wir auch das tiefe Brummen der Riesen. Sie unterhielten sich.

„Sie hat aufgehört zu schnaufen, hörst Du?“, fragte Baka.

„und – geht sie?“

Die Sterne wurden langsam sichtbar. Wir starrten zu ihr hinüber. Fast unhörbar bewegte sie sich auf uns zu. Zischend sog sie die Luft durch den Rüssel, schmatzte dabei, als schmeckte sie uns. Wie ein riesiger Schatten machte sie noch zwei Schritte, streckte den Rüssel herüber, berührte den rechten hinteren Reifen, griff unter den Kotflügel und hob den Wagen langsam an. Das Blech verzog sich knarrend und der Wagen neigte sich noch weiter nach links. Nun schob sie einen Stoßzahn unter das Bodenblech und hob uns noch höher.  Einige bange Sekunden hingen wir in der Luft. Dann ließ sie los. Rumpelnd fielen wir auf unsere vier Räder zurück. Wieder schickte sie eine Infraschall-Nachricht zu ihrer Herde, witterte mit hoch erhobenem Rüssel, drehte sich zur Brücke und ging langsam hinüber. Wir hörten die gedämpfte Begrüßung, dann war nur noch das leise Glucksen  des Sumpfes und das Alarmbellen einer nahen Antilope.

Wir machten das Licht an und fuhren vorsichtig aus dem Gebüsch heraus und zurück ins Lager. Am Ende der Sumpfoase ließen unsere Scheinwerfer die Augen eines Hyänenrudels bedrohlich wie Elmsfeuer aufflackern.

Im Lager verglich ich die Archivfotos der ausgewilderten Elefanten mit den Bildern, die ich vom Wagen aus gemacht hatte. Auf meinen Fotos stand sie da, wütend, tobend, herrlich. Die Ohren weit aufgestellt, den Rüssel erhoben, Stoßzähne zum Angriff bereit und auf der Brust – einen Pigmentfleck, in der Form des afrikanischen Kontinents. Es war Africa, das erste Elefantenkalb, das in der Station aufgezogen und ausgewildert worden war. Es war inzwischen zur Führerin einer großen Herde und zur Mutter vieler Kälber geworden.

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lachen leben sterben

13 Geschichten aus der Welt

220 Minuten Lesen_. 

Inhalt: lachen leben sterben

African BBQ – Namibia, Wildnis und weisse Jäger
Mond und weiße Haut – lässt uns in Indien mit schwarzen Schatten allein in der Nacht
Auf Händen tragen – Nachts im Hauptbahnhof München
Dreizehn Sekunden – führt in die grausame Welt der Kinderbanden African
Créme Brûlè – Teambildung mal anders
Mama Tube – Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde ohne es zu wollen
China, die Erste – Reisen mit Hindernissen und Sagenhelden
Das Rauschen der Termiten – Tod in der Wildnis
Der Herr auf dem Esel – Jerusalem und der denkwürdige Tag vor Palmsonntag
Dammi la mano! – Ein Krüppel, eine Mafioso und die Rache
Die Zeichnung – Ein alter Mann und seine Schuld – – ausgezeichnet mit Münchner Werkstattpreis
Abwärts in den Tod – Es brennt, na und?
Eine gute Jagd – Sympathische Jäger?!

Die Geschichten aus fünf Kontinenten zeigen das Lachen, Leben und Sterben, wie es sein kann, wenn man Augen hat zu sehen.

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Essay: Narzissmus oder iPad-ismus?

Leben in Kurven?

Lebst Du noch oder beobachtest Du Dich schon?

„Manchmal ist es ja schon lästig, jeden Tag dasselbe zu tun. Vor allem Anfangs fiel es mir schwer. Immerhin musste ich gleich vierzig verschiedene Daten wahrnehmen, aufnehmen, manchmal messen und aufzeichnen. Eine Masse an Information, wie ich sie noch nie zuvor zusammengetragen hatte. Aber jetzt weiß ich endlich Bescheid über mich.“

So begann das Gespräch, mit meiner Sitznachbarin im Flug von Halifax nach Washington DC. Ich kann Euch sagen, ich habe auf Reisen selten etwas Spannenderes und gleichzeitig Irritierenderes gehört.

Sie hieß Anne und kam aus Detroit, lebte schon seit 4 Jahren in DC, war 34 Jahre alt, hatte einmal abgetrieben, mit 16 allerdings schon (das kam leise dahergeschämt), lebte jetzt mit einem älteren Mann zusammen, 52, hatte aber hinreichend Sex, keine Kinder, stand gern früh auf, was ihr aber wegen ihres schwachen Kreislaufs schwer fiel, litt unter ihren ungleich großen Brüsten, hatte eine Ohrenoperation gut überstanden, Plattfüße und keinen Blinddarm mehr, den Rest, ihre Zahnformel beispielsweise und die Medikamente die sie nahm habe ich nicht mehr behalten.

Das alles reichte sie mir herüber bevor wir überhaupt in der Luft waren. Nein, ich schwöre, ich kannte sie vorher nicht und bin auch nicht mit ihr zur Schule gegangen oder gar mit ihr aufgewachsen. Also, wieso erzählte sie mir das alles eigentlich?

Es lag an mir, ich hatte interessiert auf ihr iPad geguckt um zu sehen, welche App sie benutzte. Da ging sofort die Persönlichkeitsschleuse auf.

„Sie wundern sich sicher, was ich so eifrig schreibe und in Tabellen eintrage?“, fragte sie mich und bevor ich noch abwehrend den Kopf schütteln konnte, fuhr sie fort „seit dem ich das mache, bin ich mir nicht mehr fremd und jetzt weiß ich endlich über mich Bescheid.“

Nun lauschte und lernte ich mit Aufmerksamkeit. Sie war ein Self-Tracker. Ihr Leitspruch war: „Quantify my Self“. Sie erfasste sich selbst, jeden Tag, jede Minute und jeden Augenblick. Sie beobachtete ihren Körper, prüfte ihre Gedanken und dokumentierte ihre Aktivitäten. Sprich, sie notierte alles was sie tat (im eigentlichen Wortsinn) in diese App hinein.

Sie zeigte mir wie das aussah.

  • Schlaf (einschlafen, Wachliegen, Schlummern, Schlafqualität)
  • Gewicht (Morgens, Abends, zwischendurch)
  • Kalorienaufnahme (jedes Essen, total, Kauen)
  • Verdauung (Anzahl, Menge, Substanz, Farbe, Geruch …)
  • Wasserlassen (…)
  • Puls, Temperatur, Speichelfluss etc.
  • Gute Gedanken: Freundschaft, Liebe, Zuneigung, Wärme, Sex, Geilheit, Hilfe, Verantwortung, Gott …
  • Schlechte Gedanken: Wut, Ärger, Ablehnung, Vorurteil, Hass, Gleichgültigkeit, Sex (auf Nachfrage gestand sie, es sei der Wunsch Fremdzugehen oder fremden Männern auf den Ar… zu sehen) usw.
  • Aktivitäten: Arbeiten, Telefonieren, einkaufen, Tratschen, Reden, Treppensteigen, Nachdenken, Dösen, Kino, Theater, Park, Essen gehen, Sex (mit Partner, ohne Partner, Intensität des Erlebnisses) usw. …

Da wäre noch etliches Aufzuzählen, aber ich habe dann irgendwann den Überblick verloren. Ich hatte den totalen Overflow.

Ich erlitt die Erklärung ihrer Self-Tracking Balken, Linien- und Spinnennetz-Diagramme, ihren animierten Grafiken und Zahlenkolonnen, kurz ihr Leben in abstrakter Form.

Irgendwie konnte ich nicht mehr verstehen, was daran so toll ist, mit dem iPad den Durchfall der letzten Woche genau protokolliert zu sehen oder wie oft sie einkaufen war und Zwieback gegessen hatte. Auch erzählte sie mir stolz, sie hätte ihrSchlafmuster einer Künstlerin zur Verfügung gestellt und diese hätte eine Aktionskunst daraus gemacht.

Sie fühle sich nur dann sicher, wenn sie all ihre Daten auch den Freunden in Facebook zur Verfügung stellen konnte.

„I am an obsessive self quantifier” sagte sie ein bisschen traurig, aber ich glaube sie bedauerte im Wesentlichen die Zeit, die sie für die Aufzeichnungen verbrauchte. Sie zeigte mir wieder ihren iPad auf dem ein Diagramm zu sehen war und deutete auf eine Spitze in ihrem speziellen Mood-Diagramm „There I felt very, very sad“. Wer also behauptet Zahlen und Grafiken könnten nicht emotional sein? Sie erzählte mir von Freunden die an Diabetes litten, Herzerkrankungen oder Durchblutungsstörungen. Deren Vitaldaten würden permanent aufgezeichnet und stünden im Netz immer online zur Verfügung, so könnten alle Freunde sehen, wie es demjenigen gerade gehe und sich mit anderen vergleichen um ihren Zustand einzuordnen.

Mir wurde langsam schwindelig und ich dachte, dass der bei mir bisher positiv besetzte Begriff Biometrie für die Kontrolle kranker Menschen hier in sein gruseliges Gegenteil verkehrt wurde.

Beim Self-tracking verdreht sich das Gefühl für den Körper, den Geist und das Leben in sein völliges Gegenteil. Es geht um intensivste Nabelschau, abstrakten Exhibitionismus, ja, Narzissmus. Die Endeckung der Individualität wird zum Exzess getrieben um gleichzeitig in Form von gemeinsamen Tabellen wieder aufgegeben, ja gleichsam zerstreut zu werden. Ich stelle mir für die Zukunft schon Tabellen in der Tagesschau vor, in denen das durchschnittliche Verdauungsverhalten von Hessen mit dem von Niedersachsen verglichen wird, vor allem während der EHEC Zeit wäre so etwas auf allergrößtes öffentliches Interesse gestoßen. Auch das Schlafmuster von Schwaben mit dem von Berlin verglichen wäre aufschlussreich. Die mittlere Ejakulationsdauer Münchens während des Oktoberfestes wird gegen die Dauer beim Nürnberger Christkindlesmarkt gestellt (ich weiß jetzt schon wer vorne liegen wird).

Ganz interessant wird es, wenn es dann zu den Auszeichnungen für Stimmungen kommen wird. Wer war der optimistischste Bayer 2011 oder der suizidal gefährdetste Bürger Castrop-Rauxels und was ihr sonst noch so wissen wollt.

Doch zurück zu Anne.

Sie zeigte mir während des Fluges ihr gesamtes Leben der letzten Jahre. Ich kannte all ihre Gewohnheiten, Schwächen, Ängste, sexuellen Vorlieben, Facedbook und Twitter Adressen sowie einige hundert Bilder von sich und diversen Freunden und Lovern.

Während des Landeanflugs fragte ich sie, übrigens gegen meine innere Stimme die mir zuraunte sie schnell zu vergessen, nach ihrer Telefonnummer, wir könnten in D.C. ja mal essen gehen. Sie war ehrlich empört über diese Zudringlichkeit.

„Nein, mein Lieber, das geht nicht, ich kann ja nicht jedem meine sensiblen Daten anvertrauen.“

Meinen erstaunten Blick sah sie nicht mehr, sie notierte noch schnell ihre Angst bei der Landung (Puls, Körpertemperatur, schweißbedingten Hautwiderstand) sowie ein langes Gespräch mit einem aufdringlichen Fremden (bei 2 G&T ohne Eis aber mit Limone).

Morgen sehe ich auf meinem iPad bei  Facebook nach, ob ich in ihrer Stimmungskurve einen nennenswerten Zacken finde, den ich mir zuschreiben kann. Das kann ich dann bei meinen Notizen als positives Kommunikationsergebnis eintragen.

(Podcast: datensammler-selftracker-halten-jede-minute-fest.38.de DRadio)

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LEOPARD – Tierische Lesegeschichten Bd. 1 – rechtzeitig erschienen.

Endlich erschienen!

Lange Nr. 1 der AMAZON Jugend-e-Books, wochenlang in den TOP 10 und seit Erscheinen in den TOP 100.

Nach dem unerwarteten Erfolg meines Kinderbuches als e-Book, ließ es mir keine Ruhe es auch als Print-Buch herauszubringen. Vor Weihnachten versteht sich, denn zahlreiche Vorbestellungen waren an das Datum 24. Dezember gekoppelt. Das Buch soll ein Weihnachtsgeschenk werden.

Natürlich habe ich es überarbeitet und um eine längere, großartige Geschichte aus Sri Lanka um einen Leoparden erweitert. 125 Seiten Spaß, Spannung, wilde Tiere und Wissen stecken in dem, mit fast 100 Bildern versehenen, Buch für Kinder von 6-12 Jahre.

Es geht um den Stachelschweintanz, einen Ausbrecher-Kraken, Haie, Schlangen, Fliegende Hunde, Wildschweine, natürlich einen Leoparden und viel Spaß und Spannung.

Ein Mal-Wettbewerb rundet das Buch ab. Der Wettbewerb läuft bis August 2012.

Hier eine der zahlreichen e-Book Rezensionen.

ANSEHEN? Klicken sie hier.

Wie teuer?  EURO 16,80 + 2,00 Porto & Verpackung

Bestellen gegen Rechnung? Vor Weihnachten erhalten?* Mailen Sie mir. Uwe.Kullnick@email.de

*Solange der Vorrat reicht.

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Lange die Nr. 1 und seit 11 Wochen in den Top 10. – Jetzt wieder auf Platz 1

Stachelschweintanz und Ein Krake verschwindet

11 WOCHEN IN DEN TOP 10 der AMAZON VERKAUFSLISTE. – Vielen Dank!!

Sie wollten mehr davon, und wenn Kinder mal was wollen, sind die hartnäckig. Also lag es mir auf der Seele das Kinderbuch fertigzustellen. Viele Kinder kannten meine Geschichte vom Stachelschwein ja schon. Ich hatte sie meinen Freunden zum Lesen und Vorlesen gegeben. Kollegen haben sie für ihre Kinder mitgenommen und ich habe sie vor vielen Kindern in der Schule gelesen. Die einhellige Meinung war. Mehr davon! Gibt es noch andere Geschichten? Gibt es das Stachelschwein Willy wirklich? Hast Du Bilder davon und vieles mehr? Auch fragten die Eltern nach einem Buch zum Lesen der Geschichten.

Also, hier ist es nun. Die Tierischen Lesegeschichten mit vielen Bildern und Fotos gibt es als eBook. Man kann es zwar jetzt auch schon als Kindle Buch auf dem iPad, oder Smart Phone lesen. Aber zu den Informationen, die in den Geschichten stecken, den Filmen, die dran hängen und den vielen Internetseiten, in die man einsteigen wenn man mehr über Stachelschweine, Kraken oder Löwen wissen will, richtig verlinkt, wird es erst in einiger Zeit kommen. Trotzdem ist es mit Vergnügen auf dem Kindle und sonst wo zu lesen.  Gedruckt wird es gegen Ende des Jahres, hoffentlich zu Weihnachten, vorliegen. Dazu wurden weitere Geschichten eingefügt.

Mal-Wettbewerb:  Wer mir eine besonders schöne Zeichnung von seinem Lieblingstier schickt (es muss ein wild lebendes Tier sein, kein Haustier wie Hund, Katze, Maus, Hamster oder Meerschwein), für den/die schreibe ich eine Geschichte über dieses Tier und widme sie ihm. Schickt die Mails mit den Zeichnungen bitte an cyber@action.ms. ich freuen uns schon (Einen Amazon Gutschein für das eBook gibt es dann natürlich sowieso). Die ersten Bilder sind schon eingegangen: Jaguar und Igel, Erdferkel und Elefant und ich hoffe auf noch mehr. Der Wettbewerb läuft bis August 2012.

Im November, werde ich einen Podcast mit einer Geschichte auf dieser Seite hinterlegen. Den kann man auch herunterladen und seinen Kindern zugänglich machen. So können sie die Geschichten selber hören. Eltern, Großeltern, Tanten, Onkeln können die Geschichten  vom PC oder iPod (Kassettenrecorder, wenn noch jemand diese Technik benutzt 🙂 vorlesen. Sehr überrascht war ich, wie gut die Geschichten auf dem smart phone zu lesen sind, nicht nur vom iPhone.

Eure Fragen hierzu werde ich gern beantworten.

Übrigens, man kann sich vor dem Kauf ein paar Seiten des Buches herunterladen und in Ruhe ansehen. Nun aber rasch den Kindle Reader für PCMAC oder als App herunterladen (kostet nichts und ist einfach, schnell und sicher).

3,44 Euro ist der Preis für das e-Book und durch die neue Publikationsverfahren möglich.

Viel Spaß beim (Vor-)Lesen von Der Stachelschweintanz und Ein Krake verschwindet

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